Der folgende Artikel ist in der Magdeburger Volksstimme vom 22.08.2004 erschienen.
Olvenstedter wurde zum umstrittenen Kirchenführer in Nordamerika
Der Theologe Johannes Andreas Grabau, an dessen Wirken zum 200. Geburts- und 125. Todestag erinnert werden soll, erwarb sich schon früh den Ruf eines überaus begabten Kanzelredners und aufopferungsvollen Seelsorgers. Doch im theologischen Richtungs-Streit seiner Zeit, bei dem er einen strikt lutherischen Kurs vertrat und eine große Eigenwilligkeit entwickelte, kollidierte er mit seinen kirchlichen Vorgesetzten.
Magdeburg. Diese Kollision brachte ihm die Entlassung und dann auch Haftstrafen, ehe er mit Gleichgesinnten nach Nordamerika auswanderte, wo er zum umstrittenen Kirchenführer der so genannten „Buffalo-Synode“ avancierte. Damit schrieb er in den jungen USA gewissermaßen Kirchengeschichte.
Grabau wurde am 18. März 1804 in Olvenstedt (heute zu Magdeburg) geboren. Sein Vater war ein wohlhabender Bauer, der ihm eine umfangreiche Schulbildung ermöglichte. Zunächst absolvierte der vielseitig interessierte Knabe das Domgymnasium in Magdeburg, ehe er 1825 in Halle ein Theologiestudium aufnahm.
Ab 1830 fungierte der Jung-Theologe in Magdeburg und dann in Sachsa als Lehrer. 1934 wurde Grabau zum Pfarrer von St. Andreas nach Erfurt berufen. Vor dem Hintergrund dieser materiellen Sicherstellung heiratete er im gleichen Jahr die Kanzlistentochter Christiane Sophie Burggraf. Doch da er sich im Theologen-Streit als orthodoxer Lutheraner erwies, der keine Kompromisse einging und sich schließlich auch weigerte, die unierte Liturgie weiter zu benutzen, begab er sich in seiner Amtsführung auf Glatteis. Seine sonstige Milde, seelsorgerische Umsicht und Kanzelbegabung halfen ihm nicht, als er auf seine Orientierung beharrte. Grabau wurde als Pfarrer von St. Andreas in Erfurt abgesetzt. Doch das machte ihn nur noch hartnäckiger. Für seine nicht unbeträchtlichen Anhänger hielt er in Privathäusern Gottesdienst. Die Kirchenoberen drangen auf Strafe. Der Staat war gefordert. Grabau wurde wiederholt verhaftet und letzlich verurteilt. Auf den eigenwilligen Theologen wartete das Gefängnis. Doch auch hier hatte er Anhänger.
Mit Unterstützung des Hauptmanns Heinrich von Rohr, der dann aus dem preußischen Dienst entlassen wurde, gelang Grabau die Flucht. Danach einigten sich beide Parteien, der Theologe mit seiner Anhängerschar und die preußische Regierung, auf einen Kompromiss. Den rund 1000 Abweichlern wurde mit Grabau und Rohr die Ausreise nach den USA erlaubt. Fünf Schiffe brachten die Unruhestifter in die Neue Welt, wo sie sich 1839 um Buffalo niederließen. Die unierte Kirche war mit dieser Lösung zufrieden. Die preußische Regierung hatte einen Unruheherd weniger. Und Grabau jubelte mit seinen Jüngern über den salomonischen Ausweg.
Der selbst ernannte Bewahrer der lutherischen Kirche gründete in Buffalo die Dreifaltigkeitsgemeinde, deren Hauptpfarrer er bis an sein Lebensende blieb. Nach seinen Vorstellungen sollten sich alle lutherischen Gemeinden in Nordamerika zu einer strikt lutherischen Synode zusammenschließen.
Doch seine Orthodoxie, sein Führungsanspruch und seine Unfähigkeit, Andersdenkende zu integrieren, brachten das kirchenpolitische Großprojekt zum Scheitern. So beschränkte sich seine Kirche auf die „aus Preußen ausgewanderte lutherische Kirche“ mit Hauptsitz Buffalo, die deshalb auch als „Buffalo-Synode“ in die Geschichte einging. Unbeschadet der Rückschläge in der Neuen Welt setzte Grabau seine kompromisslose Haltung auch nach der Beschränkung auf Buffalo und Umgebung fort. So attackierte er wegen ritueller Auslegungsfragen die viel größere Missouri-Gemeinde seines Konkurrenten Walther. Das war dann auch seinem bisherigen Gefolgsmann Rohr zu viel, der sich mit anderen Gläubigen von Grabau lossagte. Doch der Oberhirte von Buffalo blieb sich auch weiter treu. Er betrieb mit dem Rest seiner Anhänger das „Luther-Seminar“, gab eine Kirchen-Zeitung und ein Kirchen-Gesangbuch heraus.
Er galt schließlich als „Senior Ministerii“ seiner „Buffalo-Synode“. In dieser Stellung starb er vor 125 Jahren, am 2. Juni 1879, in Buffalo.
Autor: Martin Stolzenau (Magdeburger Volksstimme)